Rathcroghan: Tor zur Anderswelt, Wiege von Halloween (2024)

Auf einem Feld in der Grafschaft Roscommon, einem eher unbekannten Teil Irlands, befindet sich ein Hügel, auf dem Schafe friedlich grasen. Vor 2.000 Jahren wäre ihr Leben an dieser Stelle weitaus weniger idyllisch und vermutlich schnell vorbei gewesen: Sie hätten ihr Ende zu den Klängen mystischer Sprechgesänge auf dem Opfertisch gefunden, getötet von unheimlich kostümierten Menschen, die hofften, auf diese Weise die keltischen Dämonen zu besänftigen, die in der nahe gelegenen Oweynagat-Höhle hausten.

Oweynagat – was so viel bedeutet wie „Höhle der Katzen“ – galt im Keltentum als ein Übergang zwischen Irland und der Anderswelt – dem Zuhause einer Vielzahl furchterregender Fabelwesen.Laut dem irischen Archäologen Daniel Curley hat hier das Samhain-Fest seinen Ursprung, aus dem sich wiederum das moderne Halloween entwickelt hat. Doch was heute ein spaßiges Fest für Kinder ist, war zu Zeiten der Kelten geprägt von blutigen Ritualen, die hier in Rathcroghan, das nun unter dem Schafshügel verborgen liegt, ihre schreckliche Umsetzung fanden.

Vor ungefähr zwei Jahrtausenden war Rathcroghan das Zentrum der historischen irischen Provinz Connacht. Auf dem Hügel erhob sich ein großer Tempel, in dem zu Samhain Tieropfer dargebracht wurden. Nun bemüht sich Irland darum, dass die Stätte als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt wird.

An der archäologischen Fundstelle Rathcroghan kann diese künstlerische Darstellung des ehemaligen Tempels besichtigt werden. Er war vor 2.000 Jahren der wichtigste Versammlungsort für die Bewohner der historischen Provinz Connacht.

Foto von Ronan O'Connell

Sagen und Rituale der Kelten

Die archäologische Stätte Rathcroghan setzt sich aus 240 Fundstellen zusammen, die über eine Fläche von mehr als sechs Quadratkilometern verteilt liegen - darunter Grabhügel, Ringforts, Steinsetzungen, gerade Erdwerke, ein rituelles Heiligtum aus der Eisenzeit sowie Oweynagat, das sogenannte Tor zur Hölle.

Vor über 2.000 Jahren war das Heidentum die vorherrschende Religion unter den keltischen Bewohnern Irlands. Rathcroghan-Experte Daniel Curley zufolge wurde hier das keltische Neujahrsfest Samhain ins Leben gerufen, ein Brauch, den irische Immigranten im 19. Jahrhundert nach Amerika brachten.

Dorothy Bray, Expertin für irische Folklore und Professorin an der McGill University in Montreal, Kanada, erklärt, dass die heidnischen Kelten jedes Jahr vier große Feste begingen. Das erste war Imbolg, das Reinigungsfest, das am 1. Februar stattfand, wenn die Schafe zum ersten Mal Milch gaben. Es folgte Beltane am 1. Mai, bei dem der Sommeranfang mit dem Pflücken der ersten Blumen, dem Tanzen um einen geschmückten Baum und dem Gesichtwaschen mit Morgentau gefeiert wurde. Am 1. August markierte Lughnasadh den Auftakt zur Erntesaison. Das Fest war dem Gott Lugh gewidmet, der über den keltischen Königen stand. Das letzte Fest des Jahres war Samhain am 31. Oktober – das Ende des vergangenen Jahres und der Beginn des neuen.

Urbane Strukturen gab es in Connacht nicht: Seine Bewohner lebten über das gesamte Gebiet verstreut auf verschiedenen Höfen und Ländereien. Auch Rathcroghan war keine Stadt. Der Königssitz von Connacht war jedoch der wichtigste Versammlungsort und Veranstaltungsplatz für die vier großen Feste, allen voran Samhain. Am 31. Oktober herrschte im und rund um den Tempel auf dem Hügel, der von den Grabstätten der Herrscher von Connacht umgeben war, reges Treiben. Es wurde Handel getrieben und geschlemmt, Geschenke wurden ausgetauscht, Spiele gespielt, Ehen arrangiert, Krieg erklärt und Frieden geschlossen.

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    Auch Opfergaben waren fester Bestandteil der Festivitäten. Laut Mike McCarthy, Forscher und Fremdenführer in Rathcroghan, waren diese für die Geister der Anderswelt bestimmt, die genauso wie Feen und Kobolde in der finsteren, unterirdischen Dimension namens Tír na nÓg lebten. Manchen dieser Dämonen gelang es zu Samhain, die Oweynagat-Höhle zu verlassen und in der Welt der Menschen ihr Unwesen zu treiben.

    „Der Schleier zwischen der Welt der Lebenden und der Anderswelt soll zu Samhain besonders dünn sein“, erklärt Mike McCarthy. „So konnten ganze Gruppen andersweltlicher Monster in dieser Nacht in unsere Welt eindringen, die Landschaft verwüsten und so den Winter Einzug halten lassen.“

    Weil die Kelten die Geisterwesen fürchteten, entzündeten sie laut Mike McCarthy zum Schutz vor ihnen auf Feldern und Hügeln rituelle Feuer und verkleideten sich selbst als böse Geister, damit sie von den Monstern nicht nach Tír na nÓg verschleppt wurden.

    Trotz der großen Ausdehnung der Stätte kann es leicht geschehen, dass man an Rathcroghan vorbeifährt und nichts weiter sieht als Weiden und Koppeln. Seit 10.000 Jahren siedeln in Irland Menschen und das Aufkommen antiker Stätten in dem Land ist groß. Sie aufzufinden ist jedoch nicht immer leicht, da manche unterirdisch liegen und vor Jahrhunderten verlassen und dann nach und nach von der Natur zurückerobert wurden.

    Ein Schicksal, das auch Rathcroghan heimgesucht hat. Einige Experten sind der Meinung, bei der Stätte handele es sich um den größten noch nicht freigelegten königlichen Komplex Europas. Bisher ist dies weder widerlegt noch bestätigt, denn neben der Tatsache, dass in Rathcroghan keine Ausgrabungen stattgefunden haben, ist der Ort außerdem älter als die ältesten schriftlichen Überlieferungen der irischen Geschichte. Das bedeutet für die Wissenschaftler, dass sie seine Historie mithilfe von nicht-invasiven Technologien und durch die Erforschung von Artefakten, die in der Nähe gefunden wurden, erschließen müssen.

    Der Pfad zu den Keshcorran-Höhlen in der Grafschaft Sligo, die der Legende zufolge mit der Oweynagat-Höhle und dem dortigen Tor zur Hölle verbunden sind. Zu Zeiten des Keltentums wurden in den Höhlen zu den großen Festen Rituale abgehalten.

    Foto von Ronan O'Connell

    Dass es sich bei den Feldern und Wiesen in Roscommon um den ehemaligen Standort von Rathcroghan handelt, wurde erst in den Neunzigerjahren bestätigt, als ein Team irischer Wissenschaftler mithilfe ferngesteuerter Sensortechnologie die archäologischen Geheimnisse enthüllten, die unter der Erde lagen.

    „Das Schöne an der bisherigen Forschungsarbeit in Rathcroghan ist, dass auch ohne Ausgrabungen, bei denen die Erdwerkmonumente hätten zerstört werden können, schon so viel herausgefunden wurde,“ sagt Daniel Curley. „Wir haben jetzt die Möglichkeit, gezielte Ausgrabungen vorzunehmen. Dadurch finden wir hoffentlich Antworten auf unsere Fragen, können jedoch außerdem den potenziellen Schaden auf ein Minimum reduzieren.“

    Bald UNESCO-Weltkulturerbe?

    Der Erhalt der Integrität und Authentizität von Rathcroghan spielt auch in Hinblick auf den Tourismus eine Rolle. Trotz seiner großen Bedeutung ist die Stätte außerhalb Irlands noch relativ unbekannt und wird hauptsächlich von Besuchern aus der Region besichtigt. Laut Daniel Curley sähe das möglicherweise anders aus, wäre der Ort als Ursprung von Halloween beworben worden. Doch weder in Rathcroghan noch in Tulsk, dem nächstgelegenen Dorf, wird aktiv auf diesen Zusammenhang hingewiesen.

    Es ist anzunehmen, dass der Bekanntheitsgrad der Stättenach der Anerkennung als UNESCO-Weltkulturerbe rasant steigen wird. Die irische Regierung führt Rathcroghan als eine der „Royal Sites of Ireland“ auf einer Liste von Orten, die für diesen besonderen Status vorgeschlagen werden sollen, auf. Wenn das Vorhaben Erfolg hat, dürfte das ein höheres Besucheraufkommen nach sich ziehen.

    Dass das historische Juwel als kitschige Touristenattraktion verheizt wird, ist dabei unwahrscheinlich. „Sollte Rathcroghan als UNESCO-Weltkulturerbe anerkannt werden, hätte das natürlich große Vorteile. Unter anderem würde der Erhalt der Stätte durch Fördergelder sichergestellt“, sagt Daniel Curley. „Aber wir wünschen uns nachhaltigen Tourismus – keinen Halloween-Freizeitpark."

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    Wer Rathcroghan besichtigen möchten, muss den Ort erst einmal finden. Oweynagat soll zwar vor 2.000 Jahren der Geburtsort von Medb, der vielleicht berühmtesten Königin der irischen Geschichte, gewesen sein, doch die Höhle liegt gut versteckt. Nur wenige Wegweiser führen zu der Weide am Ende einer Sackgasse, die etwa einen Kilometer von dem sehr viel leichter zugänglichen Tempelhügel entfernt liegt. Besucher müssen über einen Zaun klettern, über ein Feld wandern und den engen Eingang zur Oweynagat-Höhle hinabsteigen. Ein Unterfangen, das in der irischen Eisenzeit während Samhain ein enormes Risiko dargestellt hätte – egal, wie gruselig das Kostüm war, das vor den bösen Geistern schützen sollte.

    Dieser Artikel wurde ursprünglich in englischer Sprache aufNationalGeographic.comveröffentlicht.

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